Texte 26. So Jk A 27.09.2020 (web.georg.26A 2)

 

  1. Schrifttexte

     

    Erste Lesung (Ez 18,25-28)

     

    Wenn ein Schuldiger von dem Unrecht umkehrt, wird er sein Leben bewahren

     

    So spricht der Herr: Ihr sagt: Der Weg des Herrn ist nicht richtig. Hört doch, ihr vom Haus Israel: Mein Weg soll nicht richtig sein? Sind es nicht eure Wege, die nicht richtig sind?

    Wenn ein Gerechter sich abkehrt von seiner Gerechtigkeit und Unrecht tut, muss er dafür sterben. Wegen des Unrechts, das er getan hat, wird er sterben. Wenn ein Schuldiger von dem Unrecht umkehrt, das er begangen hat, und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird er sein Leben bewahren. Wenn er alle seine Vergehen, die er verübt hat, einsieht und umkehrt, wird er bestimmt am Leben bleiben. Er wird nicht sterben.

     

    Zweite Lesung (Phil 2,1-11)

     

    Seid so gesinnt wie Christus Jesus!

     

    Schwestern und Brüder! Wenn es eine Ermahnung in Christus gibt, einen Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes, ein Erbarmen und Mitgefühl, dann macht meine Freude vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig, einträchtig, dass ihr nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen.

    Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:

    Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.

    Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters.

     

    Evangelium (Mt 21,28-32)

     

    Später reute es ihn und er ging hinaus. – <br>Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr

     

    In jener Zeit sprach Jesus zu den Hohepriestern und den Ältesten des Volkes:

    Was meint ihr? Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: Mein Kind, geh und arbeite heute im Weinberg! Er antwortete: Ich will nicht. Später aber reute es ihn und er ging hinaus.

    Da wandte er sich an den zweiten und sagte zu ihm dasselbe. Dieser antwortete: Ja, Herr – und ging nicht hin.

    Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt? Sie antworteten: Der erste.

    Da sagte Jesus zu ihnen: Amen, ich sage euch: Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.

    Denn Johannes ist zu euch gekommen auf dem Weg der Gerechtigkeit und ihr habt ihm nicht geglaubt; aber die Zöllner und die Dirnen haben ihm geglaubt. Ihr habt es gesehen und doch habt ihr nicht bereut und ihm nicht geglaubt.

     

  2. Predigt PREDIGT

Wer sind denn „Hohepriester und Älteste“? (zum Evangelium Mt 21, 28 -31)

 

Beim Evangelium heute müsste man schon ganz am Anfang sagen: „Moment mal! Wenn die Antwort auf eine Frage schon vorher klar ist, – warum dann die Frage?“ – Es war ja klar, dass der zweite Sohn, der doch noch zur Arbeit ging, besser abschnitt als der erste. – Aber: Es geht hier nicht darum, welche Antwort Jesus bekommt. Es geht um den Kommentar, den Jesus dazu gibt: „Jeder Sünder kommt eher ins Reich Gottes als ihr.“

 

Aber – nächste Frage: Wer sind diese „ihr“? Mit wem war Jesus da im Gespräch? Wissen Sie’s noch? Mit den Hohenpriestern und Ältesten. Das sind die von ganz oben; die, deren Hoheitsgebiet die Macht über Moral und Religion ist.

 

Es sind die, die Jesu Ermordung und das Aus seiner Bewegung beschließen. Hier sind nicht Individuen gemeint, sondern eine Gruppe: die, die heute (vergleichen wir’s einmal) skrupellos ihre politischen Gegner vergiften; die den Ausgang der Wahl nach Bedarf fälschen; und die, die Journalisten und Wissenschaftler ins Gefängnis sperren. Sie brachten vor 2000 Jahren einen unbequemen Prediger um. Für sie steht die Bezeichnung

Hohepriester und Älteste“.

 

Hier sind also nicht die üblichen Verbrecher gemeint: Drogen-Bosse, Finanz-Betrüger und Menschenhändler. – Die sind schlimm genug; aber diese Gruppe bezeichnet Jesus damals als

Zöllner und Dirnen“ oder „Zöllner und Sünder“. Damit meint er die, die auch heute die Straßen unsicher machen; Leute, die wir Verbrecher nennen.

 

Hohepriester und Älteste dagegen stehen für den Typus derer, die durch ihre Posten für das Wohl der Menschen da sein müssten, die aber aus ideologischen und egoistischen Gründen eher Unschuldige ans Messer liefern als der Gerechtigkeit zu genügen. Es sind also die, die ganz real Jesu Tod beschlossen und dazu die Soldaten und Henker bestellt hatten – Auftraggeber für einen politischen Mord.

 

Jesus spricht zu den religiösen Autoritäten, den „Hohen-priestern“, und zu den politisch Mächtigen, den „Ältesten“. In der damaligen Zeit waren Politik und Religion aber noch überhaupt nicht getrennt. Das bedeutet: auch die Politiker, die Ältesten waren der Religion der Väter verpflichtet. Und die Hohenpriester hatten nicht zu unterschätzenden politischen Einfluss, den sie auch gern und dankbar ausübten.

Das ist heute komplizierter: Politiker haben überhaupt kaum Interesse an Einfluss in den christlichen Kirchen. Nur vielleicht dann noch, wenn ultrarechte Politiker (z.B. in den USA) Abtreibungsgegner als Wähler gewinnen wollen. Dann unterstützen sie gern streng konservative Religionsgemeinschaften. Die Kirchenoberen Ihrerseits haben in der Regel keinen nennenswerten politischen Einfluss mehr.

 

Das finden die meisten heute auch richtig so; Kirche und Staat gehören strikt getrennt, sagen sie. Gerne schauen sie verächtlich auf die Zeit zurück, in der Bischöfe und Landesfürsten aus denselben Familien stammten und dieselben weltlichen Interessen verfolgten.

 

Dabei war das schon seit den Kindertagen der Kirche so. Das konnte sich auch keiner anders vorstellen. Jeder Diakon und jeder Presbyter schwor vor Gott und dem Bischof Loyalität in allen Diensten. Bis zu den Denkern der Renaissance und dann der Aufklärung, achtzehnhundert Jahre nach der Geburt Christi, hat an die Trennung von Staat und Kirche noch keiner gedacht.

 

Aber „alles Denkbare wird einmal gedacht“, sagt Friedrich Dürrenmatt (in dem Theaterstück Die Physiker). Heute wissen wir, wie Recht er hatte. Die Erklärung der Menschenrechte so gut wie die Entdeckung der Kernkraft; das Penizillin ebenso wie das Nervengift Novitschok zeigen:

„Alles hat seine Zeit unter der Sonne“ (Altes Testament) – die Wissenschaft entdeckt ebenso das Gute wie auch das Verderbliche.

 

Das Gespräch zwischen Jesus und den Autoritäten fand in Jerusalem, am Tempel statt. Jesus hatte sich mit seinen Anhängern dorthin gesetzt, und dann predigte er ihnen vom Reich Gottes – im Vorhof des Tempels!

Kein Wunder, dass die Hohenpriester und Ältesten hingingen und ihn fragten: „Mit welcher Autorität und Vollmacht predigst du hier? (Mt 21, 23) Jesus stellte nämlich mit dem, was er verbreitete, die Autorität der Oberen sehr in Frage.

 

Da musste er sich seinerseits die Frage gefallen lassen: Wer hat dir erlaubt, hier, in unserem Tempel zu predigen und hier unsere Autorität zu untergraben? – Und diese Situation kennen wir auch: dass Demonstranten gegen Wahlbetrug demonstrieren und mit Gummigeschossen und Wasserwerfern angegriffen werden. Nichts Neues unter der Sonne … Schon Galileo Galilei war verbrannt worden, weil er beim Studium des Weltalls zu anderen Ergebnissen kam, als die Kirche zulassen wollte.

 

Die Frauen, die in Belarus für Demokratie und Recht demonstrieren, und die US-Bürger, die gegen Polizeimorde an ihren farbigen Landsleuten demonstrieren: Sie nehmen das demokratische Recht wahr, das ihnen zusteht.

 

Was Matthäus hier über den Streit Jesu mit den Tempel-Autoritäten berichtet, soll dem Leser zeigen, dass ordinäre Gewalt-Verbrecher nicht so gefährlich sind wie die Machthaber, die ihr Ansehen und ihren Einfluss missbrauchen und sich gegen die Humanität vergehen: gegen die Gott-gegebene Würde des Menschen.

Möge Gott alle beschützen und ihnen Kraft und Ausdauer geben, die sich einsetzen für die Rechte von Unterdrückten, von Kranken und Behinderten; von Randgruppen wie straffällig Gewordenen oder Geflüchteten.

 

Und möge Gott uns allen genügend Toleranz, Mut und demokratischen Sinn geben, dass wir uns zu denen bekennen, die keine Lobby haben: in unseren Kirchen, in unserer Politik und in unseren Städten. Amen.

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